Ist die Schnellbahn in Gefahr?
Verschlechterungen im Sommerfahrplan '99
Am 30. Mai war es wieder soweit: der neue Fahrplan ist in Kraft getreten. Was bedeutet das für die Benützerinnen und Benützer des öffentlichen Verkehrs (ÖV) in Wien? Die ÖBB haben mit dem Land Wien einen Verkehrsdienstevertrag abgeschlossen. Ein Fahrgast, welcher daher mit einer Verbesserung des Verkehrsangebotes auf dem Bahnnetz im Wiener Stadtgebiet rechnet, wird jedoch bitter enttäuscht: Ab diesem Tag wurden alleine auf der Schnellbahn-Stammstrecke zwischen Wien-Meidling und Floridsdorf montags bis freitags acht Zugpaare pro Tag, samstags vier Zugpaare und sonn- und feiertags ein Zugpaar gestrichen! Dadurch entstanden vormittags und spätabends wieder Intervalle von 15 Minuten, durch welche die Attraktivität der Schnellbahn deutlich verringert wurde, obwohl diese Verkehrsverbindung einer U-Bahn-Linie durchaus ebenbürtig ist.
Aus diesem Grund hat FAHRGAST am 29. Mai 99 die ÖV-Benützer vor dem Bahnhof Floridsdorf mit Flugblättern auf diese Änderungen aufmerksam gemacht. Infolge dieser Aktion wurde FAHRGAST vom Regionalleiter des Personenverkehrs der ÖBB in Wien, Dr. Werner Kovarik, zu einem Gespräch eingeladen. Dabei wurden einige Themen besprochen, welche wir Ihnen nicht vorenthalten möchten:
Zuerst erhielten wir die Information, daß der Verkehrsdienstevertrag, der im Dezember 1998 ausverhandelt wurde, vom ÖBB Direktorium unterschrieben und zur Gegenzeichnung ins Rathaus zu Finanzstadträtin Ederer geschickt wurde. Die Unterzeichnung seitens der Gemeinde Wien ist bis heute ausständig, von den darin vereinbarten Beträgen wurde daher auch noch nichts überwiesen. Trotzdem bieten die ÖBB derzeit den Fahrgästen dem Vertrag entsprechende Zugverbindungen an. Die Finanzierung des vor kurzem in Dienst gestellten Doppelstockzuges wurde aber durchgeführt, die Zahlungen erfolgten wie vereinbart.
Die von FAHRGAST kritisierte Rücknahme der acht S-Bahn-Zugpaare erfolgte insoferne vertragsgemäß (obwohl der Vertrag noch nicht rechtskräftig ist!), als Adaptierungen des Zugsangebotes seitens der ÖBB in sehr beschränktem Maße möglich sind.
Auf den Vorschlag von FAHRGAST, in der Schwachlastzeit z. B. eine Schnellbahn-Doppelgarnitur in zwei Einfachgarnituren zu teilen und dann mit zwei kurzen Zügen den bisherigen Verkehr zu fahren (das Platzangebot wäre bei weitem ausreichend), sagte Dr. Kovarik, daß durch die Vergütung nach Platzkilometern durch den VOR bei dieser Betriebsart ein Einnahmenverlust entstehen würde. Die ÖBB sind derzeit jedoch bemüht, von dieser Verrechnungsart wegzukommen, um die Schwachlastverbindungen kostengünstiger realisieren zu können.
Auf den im Vergleich mit der U-Bahn sichtbaren Qualitätsverlust der Schnellbahn angesprochen, erwiderte Dr. Kovarik, daß
Auch soll die Weiterbildung der Zugbegleiter im Hinblick auf ein modernes und kundenorientiertes Dienstlestungsunternehmen erfolgen.
Weiters gab Dr. Kovarik bekannt, daß die BahnBusflotte - vorerst jene der Betriebsstelle Liesing - in Eigenregie der ÖBB komplett auf Niederflurbusse umgestellt wird. "Ist die Schnellbahn in Gefahr?" - so lautete die Frage des FAHRGAST-Flugbattes. Im Hinblick auf das erwähnte Ausbauprogramm wird diese Frage von den ÖBB verneint.
Die Finanzierung des Betriebes des Nahverkehrs ist jedoch immer ein Thema, das ÖPNV-Finanzierungsgesetz ist immer noch ausständig, die Bereitschaft, ÖPNV-Leistungen zu bestellen, ist immer noch gering, allerdings gibt es berechtigte Hoffnung, daß sich diese unbefriedigende Situation verbessern könnte.
FAHRGAST appelliert daher an die Politiker, speziell an die Wiener Landesregierung, das Bekenntnis zur Schnellbahn auch durch die entsprechenden Taten zu untermauern, daher so schnell wie möglich den bereits ausgehandelten Vertrag in Kraft treten zu lassen und in weiterer Folge auch die Ausbaupläne der Schnellbahn zu unterstützen.
FAHRGAST vertritt außerdem die Meinung, daß die Investition einiger Millionen in den Betrieb der Schnellbahn der Öffentlichkeit einige Milliarden U-Bahn-Baukosten ersparen könnte, was die Akzeptanz der S-Bahn bei den Fahrgästen im Verhältnis zur U-Bahn erheblich verbessern würde.
FAHRGAST wird jedenfalls die weitere Entwicklung kritisch beobachten und wird Sie weiterhin laufend über den Eisenbahnpersonenverkehr in Wien informieren.
Andreas Offenborn