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FAHRGAST - Die Zeitung
Ausgabe 3/2000 - Oktober 2000
www.fahrgast.at/z00-3-3.htm - Letzte Änderung dieser Seite am 14.11.2000 (ARK)
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Liberalisierung des ÖPNV

oder "Hilfe, die Franzosen kommen!"

"Die Wirklichkeit ist genau so, wie sie sich der kleine Moritzl vorstellt." Wenn dieser Satz eines bekannten österreichischen Humoristen der Zwischenkriegszeit in jedem Fall stimmt und der kleine Moritzl sich die Liberalisierung des öffentlichen Personnennahverkehrs vorstellt, so präsentiert sich ungefähr das folgende düstere Bild:

Nehmen wir das Beispiel eines prominenten Austroamerikaners und nennen wir ihn, um Verwechslungen mit lebenden Personen zu vermeiden, Fred Feuerstein. Unser Fred geht nun her, kauft die Wiener Linien und die ÖBB, stellt den Betrieb auf den unrentablen Strecken ein und ersetzt den Schienenpersonenverkehr auf dem verbleibenden "Netz" durch Busse aus seiner eigenen Produktion - so etwas gab es tatsächlich in den USA; es handelte sich um die mutwillige Zerstörung des gut ausgebauten Straßenbahnnetzes von Los Angeles. Ein Thema übrigens, das auch im Film "Falsches Spiel mit Roger Rabbit" vorkommt. Wem die Busse nicht behagen, der kann ja mit dem Auto fahren - die meisten Autos werden zufälligerweise auch von Herrn Feuerstein erzeugt.

Wozu auch lästiger Personenverkehr - Herr Feuerstein braucht die verbleibenden Strecken für den Güterverkehr, mit dem immer noch gutes Geld zu machen ist. Allerdings nur dann, wenn die Eisenbahner endlich einmal einsehen, dass sie in Wahrheit untätige Sozialschmarotzer sind. Nach dieser Gehirnwäsche werden sie sicher freiwillig auf ihre "wohlerworbenen Rechte" verzichten. Dummerweise hat Herr Feuerstein aber Probleme, auf diese Weise qualifiziertes Personal zu bekommen. Macht nichts, denn unqualifizierte Leute tun's eigentlich auch. In den Loks und Waggons, aber auch hinter den wenigen nicht wegrationalisierten Bahnschaltern tauchen Menschen auf, die entweder so aussehen, als wäre ihr Intelligenzquotient etwa der eines Hydranten, oder aber solche, die schon bisher als Taxifahrer kein großes Vertrauen erweckt haben und denen man bestenfalls das Graben von Löchern oder die Reinigung von Sanitäranlagen zutrauen würde.

Hat der kleine Moritzl doch unrecht?

Michel Quidort

Er hat unrecht. Und zwar, wenn man den Ausführungen von Michel Quidort glaubt, einem Manager der französischen "Compagnie Générale d' Entreprises Automobiles" (CGEA), welcher am 14. September 2000 in Wien anlässlich eines FAHRGAST-Hintergrundgespräches ein beachtenswertes Referat über die Liberalisierung des ÖPNV und den Beitrag der CGEA dazu hielt. Die wichtigste Aussage von Michel Quidort war ohne Zweifel die, dass man streng zwischen Liberalisierung und Privatisierung unterscheiden müsse. Und mit Privatisierung hat die CGEA nichts am Hut: "Wir sind Dienstleister, Besteller ist weiterhin die öffentliche Hand", betonte Quidort.

"Hilfe, die Franzosen kommen!"

Diesen provokativen Titel trug die Einladung zu einem Verkehrsinitiativentreffen in Salzburg. Doch wer sind diese Franzosen? Und vor allem: Wer hat Grund, sich vor ihnen zu fürchten? Sind es die Politiker, die Verkehrsunternehmen und deren Mitarbeiter oder sind es die Fahrgäste?

Die oben erwähnte CGEA ist eine Tochter des französischen Konzerns Vivendi; sie ist auf die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen spezialisiert. Und das kann sie anscheinend gut: Schon 70 Prozent ihrer Leistungen erbringt die CGEA außerhalb Frankreichs, und zwar in 16 Ländern mehrerer Kontinente. 40.000 Mitarbeiter befördern mit 13.000 Bussen und 3.500 Schienenfahrzeugen eine Milliarde Fahrgäste im Jahr und machten 1999 dabei einen Umsatz von umgerechnet rund 34 Milliarden Schilling.

1.500 Kilometer Regionalbahnen in Südengland werden von der CGEA ebenso betrieben wie die Hälfte des S-Bahnnetzes im australischen Melbourne, die Lissabonner Nord-Süd-S-Bahn, die Stockholmer U-Bahn sowie zahlreiche kleinere Regionalbahnen vor allem in Deutschland und Frankreich.

Franzosen greifen nach Nebenbahnen

Daseinsvorsorge statt Gewinnmaximierung

"Ein funktionierender öffentlicher Verkehr gehört genauso zur Daseinsvorsorge wie etwa die Straßenbeleuchtung. Bei letzterer fragt ja auch niemand, ob man damit Geld verdienen kann." Kein Zweifel, Michel Quidort, von welchem diese Aussage stammt, ist kein neoliberaler Phrasendrescher, und das tut gut.

Das Modell der CGEA erlaubt es den Gebietskörperschaften nämlich keineswegs, sich aus ihrer Verantwortung für die Bereitstellung eines fahrgast- und umweltgerechten ÖPNV zu stehlen. Verkehrsplanung und -politik bleiben dort, wo sie hingehören, nämlich in der öffentlichen Hand. Diese hält auch weiterhin die Verkehrsinfrastruktur vor - daher keine Rede vom Verkauf des staatlichen Familiensilbers. Die CGEA tritt "nur" als Betreiber einzelner Linien oder auch ganzer Netze in Erscheinung und zwar im Rahmen von Verträgen, in welchen die zu erbringenden Dienstleistungen klar und deutlich umschrieben sind.

Mehr Leistung fürs gleiche Geld...

...oder gleiche Leistung für weniger Geld, so lautet ein Erfolgsrezept der CGEA. "Wir sind im Schnitt um etwa 20 bis 30 Prozent billiger als Eigen- oder Regiebetriebe", erklärte Michel Quidort. Was aber nicht heißt, dass beim Personal gespart wird. "Gut ausgebildete, hoch motivierte und auch entsprechend bezahlte Mitarbeiter sind eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Dienstleistungsunternehmen", so Quidort. Und: "Im Jahre 1996 verdiente in England ein Lokführer brutto 17.000 Pfund im Jahr, heute sind es 32.000."

Von einer Politik des "hire and fire" billiger Arbeitskräfte ist jedenfalls nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Zwei eigene Akademien in Frankreich und England dienen der bestmöglichen Ausbildung der CGEA-Mitarbeiter. Niemand muss bei der Übernahme eines Verkehrsbetriebs um seinen Posten bangen - sofern dies mit dem (politischen) Besteller vertraglich so vereinbart ist. "In Stockholm haben wir alle Mitarbeiter übernommen und sind trotzdem noch billiger als zu Zeiten des Regiebetriebs", erklärte Quidort nicht ohne Stolz.

Voraussetzung politischer Wille

"Der politische Wille ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir einsteigen", antwortete Quidort auf die Frage, ob er sich eine Tätigkeit der CGEA in Österreich vorstellen könne. Und ob dieser gegeben ist, bleibt vorderhand jedenfalls dahingestellt.

Fragt sich, warum es an politischem Willen mangelt. Einerseits: Daseinsvorsorge ist eine öffentliche Aufgabe und muss daher demokratisch legitimiert sein. Das bedeutet: Das Volk muss im Wege seiner gewählten Vertreter auch bestimmen können, welche Verkehrsleistungen erbracht werden sollen. Das geht naturgemäß am besten bei Eigen- oder Regiebetrieben, da hier die Vertretungskörper den unmittelbaren Durchgriff auf die Entscheidungen des Verkehrsunternehmens haben. Man denke nur an die bis vor gar nicht allzu langer Zeit existierende, sogar in Verfassungsrang stehende Bestimmung, wonach der Nationalrat durch Beschluss die Eisenbahntarife zu genehmigen hatte.

Andererseits: Gerade der politische Durchgriff auf die Betriebe alten Stils war es, welcher der politischen Verfilzung und dem nicht sachbezogenen Interventionismus Tür und Tor geöffnet hat und noch immer öffnet. Wenn beispielsweise neue Fahrzeuge verschrottet und durch noch neuere ersetzt werden, um den maroden Unternehmen politischer Freunde (oder je nachdem Genossen, Kameraden etc.) Aufträge zu verschaffen, so dient dies sicher nicht der Effizienzsteigerung des Unternehmens. Und auf solche Spielarten "demokratischer" Einflussnahme kann der Souverän (also für die, die's aus nachvollziehbaren Gründen verdrängt haben: das Volk) gut und gerne pfeifen.

Jetzt möge sich der geneigte Leser selbst ein Urteil darüber bilden, was wohl der Grund für die in Österreich nur schleppend anlaufende Liberalisierung sein mag.

Liberalisierung - Chance oder Risiko?

Ohne Zweifel: Die Liberalisierung des ÖPNV bietet Chancen, beinhaltet aber auch Risken. Letztere könnten jedoch minimiert werden, wenn der Besteller (also wieder das Volk bzw. seine vielgeschmähten Politiker) sich dessen bewusst wird, was er genau will: Die gewünschte Dienstleistung angefangen von Art und Ausstattung der Fahrzeuge über Betriebszeiten und Intervalle bis zu den maximalen Kosten muss in genormten Ausschreibungsformularen bzw. Lastenheften festgelegt werden (siehe auch Artikel Verträge zur Sicherung der ÖPNV-Qualität von Georg Pammer in FAHRGAST 3/99). Üblich ist durchaus auch der Vertragsbestandteil, dass sich der jährliche Kostenzuschuss an den Betreiber degressiv zu verhalten hat - der Steuerzahler wird's danken. Umgekehrt ist es aber auch möglich, dass der Dienstleister seinerseits bestimmte Punkte in den Vertrag hineinreklamiert: Etwa dass der Auftraggeber Sorge dafür zu tragen hat, dass etwa die Straßenbahnen des Betreibers nicht vor Ampeln oder im Stau stehen - widrigenfalls der Auftraggeber die dadurch entstandenen Mehrkosten bezahlen muss.

Wie auch immer: Auf die weitere Entwicklung dürfen wir gespannt sein.

Text und Grafik: Georg Kupf
Foto: WirtschaftsBlatt


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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