4/2000 - Europäische Fahrgastkonferenz4/2000 - InhaltStartseiteVereinAktuellZeitungMailSeitenende4/2000 - Die Eisenbahn als eiserner Vorhang
FAHRGAST - Die Zeitung
Ausgabe 4/2000 - Dezember 2000
www.fahrgast.at/z00-4-2.htm - Letzte Änderung dieser Seite am 9.1.2001 (ARK)
FAHRGAST Startseite

Eisenbahn in
Tschechien und Umgebung

Blick über den Zaun

Angesichts der Einsparungs- und Kürzungspolitik in Österreich stellt sich die Frage, wie in den Reformländern Mittel- und Osteuropas Eisenbahnpolitik betrieben wird. Diese Länder müssen mit wesentlich weniger Wirschaftsleistung auskommen, aber der öffentliche Verkehr hat traditionell einen bedeutend höheren Stellenwert als bei uns. In Ungarn droht Berichten zufolge eine ähnliche Nebenbahn-Einstellungswelle wie in Österreich, ebenso ist es in Polen zu einigen Streckenstillegungen und Angebotskürzungen gekommen.

Das ist in diesen Ländern insofern um einiges schlimmer als bei uns, da die dort betroffenen Strecken keineswegs von "Geisterzügen" befahren wurden, sondern wirklich ausgelastet waren. In Polen sollen diese Sparmaßnahmen angeblich auf Druck der Weltbank durchgesetzt worden sein.

Situation in Tschechien

In Tschechien sind derartige Sparmaßnahmen bis dato nicht zu erkennen. Obwohl das Land viel kleiner ist, ist das tschechische Kursbuch ungefähr so dick wie das österreichische, und die Eisenbahnen werden auch wirklich benützt. Auch nach Berücksichtigung der verminderten Kaufkraft ist Bahnfahren in Tschechien sehr viel billiger als in Westeuropa, etwa um den Faktor 2 bis 3. Dieser Preis dürfte entweder aus Tradition so niedrig sein, oder aber den tatsächlichen Grenzkostenpreis darstellen, also den Kosten entsprechen, die ein zusätzlicher Fahrgast verursacht, ohne Abdeckung des Aufwandes, der nötig ist, damit überhaupt einmal ein Zug fährt.

Zumindest auf den wichtigeren Strecken ist eine rege Bautätigkeit zu bemerken, allerdings keine Hochleistungsstrecken im "westlichen" Sinn, sondern im wesentlichen Streckensanierungen und Bahnhofsneubauten für durchgehende Geschwindigkeiten von etwa 160 km/h. Diese Bauarbeiten führen derzeit leider zu oft erheblichen Verspätungen.

Was die Fahrplangestaltung betrifft, gibt es auf vielen Strecken nur in Ansätzen Taktfahrpläne, dafür aber gute bedarfs-orientierte Angebote. So gibt es beispielsweise auf sehr vielen Nebenstrekken, die bei uns wahrscheinlich längst eingestellt worden wären, Eil- bzw. Schnellzüge, meistens Verbindungen zwischen größeren Städten, teilweise sogar innertschechische Nachtzüge, etwa von Bohumin über Brünn und Budweis nach Pilsen.

Die Tschechen sind es noch gewohnt, ein Kursbuch zu benutzen, es liegt auch in der Buchhandlung auffällig am Ladentisch. Selbstverständlich gibt es in Tschechien u.a. auch noch Zuglaufschilder und ausreichend Aushangfahrpläne, die eine gute und schnelle Orientierung sehr erleichtern.

Eilzug 1277 von Praha hl.n. nach Linz Hbf bei der Einfahrt in Ceske Budejovice am 1.11.1999
Eilzug 1277 von Praha hl.n. nach Linz Hbf
bei der Einfahrt in Ceske Budejovice am 1.11.1999

Fernverkehr

Die Zugverbindungen zwischen Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern sind hervorragend, wesentlich besser als die Verbindungen nach Westeuropa, aber auch besser als zwischen westeuropäischen Ländern. Züge, die kurz vor einer Grenze im Nichts enden, sucht man vergebens, dafür findet man jede Menge wirklicher Fernverbindungen.

So kommt man von Prag aus in einem direkten Kurswagen nicht nur nach Moskau, sondern auch nach St. Petersburg und sogar nach Sotschi an der Ostküste des Schwarzen Meeres. Während man von Wien aus in Polen nur Warschau oder Krakau direkt erreicht, kann man aus Budapest direkt nach Stettin und aus Prag direkt nach Danzig reisen.

Sehr eindrucksvoll ist auch die Reaktion auf den Jugoslawien-Krieg im Frühjahr 1999: Es gab bisher zweimal wöchentlich einen direkten Kurswagen von Prag nach Thessaloniki. Infolge der Zerstörung des jugoslawischen Bahnnetzes wurde dieser nicht einfach eingestellt, sondern er fährt jetzt einen Umweg, nämlich über Bukarest und Sofia. Man hat diese Verbindung auch gleich dazu benützt, eine tägliche, direkte Kurswagenverbindung von Prag an die bulgarische Schwarzmeerküste einzurichten, an den geraden Tagen nach Burgas und an den ungeraden Tagen nach Varna. Man fährt spätabends in Prag weg und ist am übernächsten Tag in der Früh am Ziel.

Erbärmlich hingegen sind die Verbindungen über Österreich nach Süden, insbesondere nachdem die bestens frequentierte Umsteigeverbindung vom EC Antonin Dvorak aus Prag zum EN San Marco nach Venedig zerstört wurde. Konnte man früher um 17.43 in Prag wegfahren und hatte in Wien Anschluß nach Venedig, so muß man jetzt, um zur gleichen Zeit anzukommen, entweder um 14.39 mit dem EC Vindobona nach Wien aufbrechen, allerspätestens jedoch um 15.10 mit Umsteigen in Veseli nad Luznice und Gmünd.

Im letzten Fall ist die Ankunft in Wien am Franz-Josefs-Bahnhof. Ob die Stadtrundfahrt mit dem D-Wagen zum Südbahnhof die zweieinhalb Stunden Zeitverlust wettmacht? Wer beispielsweise in Prag wohnt, am letzten Tag vor dem Urlaub bis 16 Uhr arbeiten muß und keine Lust hat, mitten in der Nacht umzusteigen oder um Mitternacht in Wien für 6 Stunden ein Hotelzimmer zu beziehen, der erreicht Varna schneller als Rom.

Nahverkehr

Im Nahverkehr besticht Tschechien mit einem sehr dichten, in Betrieb befindlichen Netz, wenn auch die Strecken nach unseren Maßstäben oft schlecht erhalten sind. Die Fahrzeuge sind meist weniger komfortabel als bei uns, teilweise auch recht laut. Die Geschwindigkeiten sind aber in der Regel mit jenen österreichischer Regionalbahnen zu vergleichen, was u.a. den sehr schnell beschleunigenden Schienenbussen der Bzmot-Serie zu verdanken ist.

Die Zugfrequenz ist zwar oft geringer als bei uns, dafür gibt es aber auch sehr früh und sehr spät noch Züge. Es ist eindrucksvoll, wie gut die Züge der tschechischen Regionalbahnen besetzt sind, das liegt sicherlich nicht nur am Angebot, sondern auch am günstigeren Preis und am geringeren Autobesitz sowie dem schlechteren Straßenzustand.

Text: Harald Lampl, Foto: Markus Rabanser


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 SeitenanfangSeitenende
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 SeitenanfangSeitenende
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 SeitenanfangSeitenende
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 SeitenanfangSeitenende
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 SeitenanfangSeitenende

 
4/2000 - Europäische Fahrgastkonferenz4/2000 - InhaltStartseiteVereinAktuellZeitungMailSeitenanfang4/2000 - Die Eisenbahn als eiserner Vorhang