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FAHRGAST - Die Zeitung
Ausgabe 2/98 - August 1998
www.fahrgast.at/z98-2-3.htm - Letzte Änderung dieser Seite am 14.9.1999 (ARK)
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Personal in Geiselhaft

Unfreundliche Fahrer sind Symptom, nicht Ursache

Sie kennen das: bei vielen Fahrern hat der Fahrgast den Eindruck, daß er nur als unnötiges Betriebshindernis gesehen wird, bestenfalls noch als "Beförderungsfall". Und um seinem Ärger Luft zu machen, setzt sich dieser Fahrgast hin und schreibt einen Beschwerdebrief. Der Fahrer bekommt "eine auf den Deckel" und alles bleibt wie gehabt.

Doch woran liegt es, daß das Personal so schwer "im Dienste der Kunden" agieren kann? Die Ursache ist zumeist in den oberen Etagen der Verwaltung zu finden. Die Wiener Linien sind ein gutes Beispiel dafür.

Unfall auf der Linie 71

Beim tragischen Unfall auf der Linie 71, bei dem ein Straßenbahnzug in eine Bankfiliale raste, war die Schuldige schnell gefunden. Die Fahrerin war viel zu schnell unterwegs. Menschliches Versagen. Basta, damit ist alles klar. So hat Direktor Dipl.-Ing. Günther Grois in der Mitarbeiterzeitung der Wiener Linien geschrieben: "Zum größten Teil tragen aber unsere Fahrerinnen und Fahrer die Verantwortung für die Sicherheit der Fahrgäste. Deshalb steht die Verkehrssicherheit in der Rangordnung aller unserer Aufgaben und Pflichten an oberster Stelle. Kein anderes Argument darf wichtiger genommen werden und so den sicheren Betriebsablauf gefährden. Einige Kollegen und manche Medien haben in den Tagen nach dem schrecklichen Ereignis den Unfall durch Zeitdruck und Pflicht zur Einhaltung des Fahrplans zu entschuldigen versucht. Sieht man vom menschlich verständlichen Versuch, der bedauernswerten Kollegin zu helfen, ab, ist das eine absolut unzulässige Begründung. Sie fügt dem Image des öffentlichen Verkehrs allgemein, vor allem aber dem Ruf der Mitarbeiter im Fahrdienst großen Schaden zu."

Es wird also versucht, der Fahrerin die alleinige Verantwortung zuzuschieben. Aber gibt es nicht auch andere Verantwortliche? Wer ist dafür zuständig, daß an dieser Stelle eine solche Weiche existiert? Und wer für veraltete technische Ausstattung? Wer hat es verabsäumt zu veranlassen, daß an dieser Abzweigung eine "Z"-Tafel angebracht wird (siehe auch Artikel "Tödliche Weichen" auf der folgenden Seite)? Wer ist für die Erstellung der - in diesem Fall - (zu) knapp bemessenen Fahrpläne verantwortlich? Ist es ein Zufall, daß es gerade auf der Linie 71 in den letzten Jahren drei schwere Straßenbahnunfälle gegeben hat? Fragen, die einfach unter den Tisch gekehrt wurden. Sogar von der Gewerkschaft!

Plakataktion

In diese Zeit fiel auch die Werbekampagne der Wiener Linien, in welcher das Fahrpersonal in den Vordergrund gestellt wurde. Diese Aktion wirkte auf den ersten Blick recht sympathisch. Aber sie erzeugte auch eine hohe Erwartungshaltung. Den netten Damen und Herren wollen die Fahrgäste natürlich auch in der Realität begegnen. Wer dann am Führerstand einen unrasierten, bierbäuchigen Miesmuffel mit offenem Hemd erblickt, muß sich von dieser Werbung gepflanzt fühlen. Nicht, daß dieser Mann uns schlechter ans Ziel bringt, aber die Diskrepanz ist zu offensichtlich. Wesentlich sinnvoller wäre es gewesen, das Personal auf mehr Kundenfreundlichkeit zu schulen und das nötige "Handwerkszeug" dafür bereitzustellen.

1. Mai

Sogar von der eigenen Gewerkschaft werden die Mitarbeiter torpediert. Das beste Beispiel ist die Eskalation rund um den Vollbetrieb am Vormittag des 1. Mai. Die Gewerkschaft widersetzte sich dem Gemeinderatsbeschluß und drohte mit einem Streik. Eine schnell herbeigezauberte Notlösung mit Nachtautobussen konnte einen gröberen Konflikt fürs erste abwenden. Dabei hätten viele Fahrerinnen und Fahrer absolut nichts dagegen, auch am 1. Mai, an dem der Bedarf ja sichtlich vorhanden ist, zu fahren. Viel lieber würden sie am Abend des 24. Dezember bei ihren Familien sein. Auch FAHRGAST hätte nichts dagegen, daß am Heiligen Abend aufgrund des geringen Bedarfes bereits ab ca. 20 Uhr der Nachtautobusbetrieb beginnt. Aber der Gewerkschaft ging es ja nur ums Prinzip und nicht um die Interessen ihrer Mitarbeiter, denn der Imageschaden ist durch diese Weigerung enorm.

Ein weiterer Punkt ist, daß sich die Gewerkschaft recht erfolgreich gegen Beschleunigungsmaßnahmen stellt. Der Grund: die Fahrer bekommen für die Fahrzeit mehr Gehalt als für die Standzeiten an den Endstationen. Längere Fahrzeiten bedeuten also mehr Geld - was sicher nicht im Sinne der Fahrgäste ist.

Fahrer tragen Konsequenzen

Eine weitere Ursache für die mangelnde Motivation des Fahrpersonals sind die negativen Konsequenzen bei Eigenmächtigkeiten. So darf ein Fahrer beispielsweise den Rückspiegel eines schlecht geparkten Autos nicht umklappen, da er eventuelle Beschädigungen aus eigener Tasche bezahlen muß. Also wird über Funk das Expedit verständigt, und bis eine Weiterfahrt möglich ist, vergeht gut und gerne eine halbe Stunde. Anderes Beispiel: vor Jahren fuhr einmal im Winter ein Fahrer aufgrund einer vereisten Weiche eine abweichende Strecke, um andere Straßenbahnzüge nicht aufzuhalten und selber möglichst rasch auf seine Stammstrecke zu gelangen. Für diese im Sinne der Fahrgäste getroffene Entscheidung bekam der Fahrer ein Disziplinarverfahren. Und jeder von uns kennt folgende Situation: der Wagen ist bereits ein paar Meter aus der Haltestelle herausgefahren und steht vor einer roten Ampel. Der Fahrer darf nicht mehr öffnen, selbst wenn er wollte.

"Fahrautomaten"

So gesehen ist es kein Wunder, wenn anfangs hochmotivierte Fahrer im Laufe der Zeit zu stumpfen "Fahrautomaten" mutieren, weil ihnen jegliche Selbstverantwortung abgesprochen wird. Sie dürfen nur ihren Kopf hinhalten, wenn sie Fehler machen. Aber diese Fehler sind zumeist nur ein Symptom und nicht die Ursache, die sehr oft bei den Verantwortlichen in Erdberg zu finden ist. Insofern verdient jede Fahrerin und jeder Fahrer die Bewunderung von uns allen, wenn sie/er trotzdem höflich und freundlich ist und sich ganz im Sinne der Fahrgäste verhält. Und das - obwohl sie/er nicht nur die Versäumnisse ihres/seines Arbeitgebers kaschieren, sondern sich auch ständig mit rücksichtslosen Autofahrern und gedankenlosen Fahrgästen (ja, auch die gibt es) herumschlagen muß. Denn nur allzuoft muß das Fahrpersonal den Blitzableiter für verärgerte Fahrgäste spielen, obwohl es nichts dafür kann. Vielleicht sollten wir Fahrgäste uns da öfter an der Nase nehmen.

Andreas René Klement


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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