Mit der Bahn nach Jordanien (1)
Auf den Schienen von Bregenz nach Amman
Ein Reisebericht von Peter Romen
Das kommt wohl nur Eisenbahnnarren in den Sinn, möchte man glauben. Nun, wem nur daran liegt möglichst schnell anzukommen, der wird sicher nicht die "langsame" Bahn wählen, um in ein so fernes Land zu reisen. Jedoch: Wer sich einmal überlegt, daß auch eine lange Anreise ein bleibendes Erlebnis darstellt, für den sieht die Sache schon anders aus. Es ist doch sicher ein Mangel des Flugzeugs, den neugierigen Reisenden fast übergangslos in eine oft fremde Kultur zu bringen. Das ist bei der Bahn nicht so: Nur allmählich - wenn auch gelegentlich über Nacht - nähert sich der neugierige Reisende dem gewünschten Ziel. Dies ist einer der Beweggründe, die mich immer wieder veranlassen, die "altmodische" Bahn zu benützen.
Bis vor einigen Jahren war es noch möglich, von München in einem türkischen Schlafwagen nach Istanbul zu reisen. Wegen der aktuellen Balkankrise war mir dieser Weg verwehrt: es gibt keinen türkischen Schlafwagen mehr von München nach Istanbul; es gibt überhaupt keinen Schlafwagen mehr von Mitteleuropa in den Orient. Schnellzüge mit langem Laufweg sind selten geworden in Europa.
EuroCity "Maria Theresia"
Ich stieg in Bregenz in einen Eilzug nach Feldkirch und dort in den beliebten Panoramawagen des aus Zürich kommenden EC "Maria Theresia" nach Wien. So oft ich bereits durch Österreich gefahren bin, es gefällt mir doch immer wieder. Langeweile kommt da nie auf: Entweder habe ich zu arbeiten, finde nette Mitreisende für anregende Themen, oder ein Gang in den Speisewagen sorgt für leibliches Wohl. Am 22. Dezember 1997 begleitete mich mein Neffe aus Zürich auf meiner Fahrt nach Amman. Für Kurzweil war gesorgt: er Chemiker und ich Physiker, eine schöne Landschaft vor dem Zugfenster und ein Schweizer Speisewagen...
Bei unserer pünktlichen Ankunft in Wien-West war am gleichen Bahnsteig bereits der "Beograd Expreß" mit unserem jugoslawischen Schlafwagen bereitgestellt. Bis auf den spürbaren Mangel an Verpflegung bot dieser JZ-Schlafwagen den gleichen Komfort wie wir ihn auch bei uns gewohnt sind.
Pünktlich um 23.25 Uhr fuhren wir los. Die Kontrolle an der ungarischen Grenze war genauso schnell und problemlos wie die an der jugoslawischen, wobei erstere bereits kurz nach unserer Abfahrt in Wien, letztere am frühen Morgen stattfand. Der neblig-feuchte Dezembermorgen ließ die triste wirtschaftliche Lage Serbiens erahnen. Der Zug hatte keinen Speisewagen und wir nichts zu essen mitgenommen. Die Erinnerung an das üppige Mahl, das wir noch im Schweizer Speisewagen des EuroCity zu uns genommen hatten, konnte unseren Hunger nicht verdrängen. Unser Frühstück bestand aus Mineralwasser und Salzstangen, die unser Schlafwagenschaffner als einzige nicht alkoholische Verpflegung zu bieten hatte. Pünktlich um 9.49 Uhr rollten wir - immer noch hungrig - in den Hauptbahnhof von Beograd ein.
Balkan-Expreß
Dort wartete der "Balkan-Expreß" aus Budapest. Er war uns von dort über eine Stunde vorausgefahren - mit seinem bulgarischen Schlafwagen, der uns nach Istanbul bringen sollte. Und da stand er auch noch, als die fahrplanmäßige Abfahrtszeit längst verstrichen war. Der Liegewagen von Wien nach Skopje, den wir mit unserem Zug mitgebracht hatten, war längst angehängt und Anschlußzüge waren keine zu erwarten. Laut Fahrplan hatten wir nur 20 Minuten Zeit zum Umsteigen, und so wagten wir nicht Lebensmittel einkaufen zu gehen. Wir hätten es tun können, denn mit über einer Stunde Verspätung - der Grund unseres langen Aufenthaltes wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben - setzten wir uns dann in Bewegung. Den ganzen Tag fuhren wir mit nur mäßiger Geschwindigkeit durch den winterlichen Balkan der Stadt Nis entgegen, wo sich die Bahnlinien nach Griechenland und nach Bulgarien verzweigen. Wir erreichten mit etwa 2 Stunden Verspätung Nis. Und hier gab es bei hereinbrechender Dämmerung am Bahnsteig endlich etwas zu Essen: mit Topfen gefüllten Blätterteig und Limonade - für Devisen, versteht sich, denn Dinar besaßen wir keine. Unser langer Zug war nur sehr mäßig besetzt, denn es ist für Mitteleuropäer nicht leicht ein serbisches Visum zu erhalten - und so hielt sich das gute "Geschäft" in Grenzen, aber immerhin...
Bei Abfahrt aus Nis war es bereits dunkel und noch ehe wir schlafen gingen kam die bulgarische Grenzkontrolle. Von Bulgarien selbst bekamen wir fast nichts mit: wir durchfuhren das Land bei Dunkelheit, und dunkel war es noch als wir am türkischen Grenzbahnhof Kapikule ankamen. Da wir uns nicht vorab ein türkisches Visum besorgt hatten, hieß es aussteigen. Bei einem Fensterchen des Bahnhofsgebäudes tat ich es meinem Vordermann gleich und reichte einen 10-US-Dollar-Schein hinein. Der Beamte klebte das Visum ein und verlangte 150 öS, weil ich ja Österreicher bin. Mein Hinweis auf den 10-USD-Schein wurde natürlich nicht verstanden, und ich hatte im Augenblick kein großes Verlangen nach einer vermutlich erfolglosen Diskussion. Dann ging es zum Nachbarfensterchen, um den Einreisestempel zu ergattern. Binnen 20 Minuten war die Prozedur zu Ende und ich im Bett.
Istanbul
Als ich morgens nach dem Aufwachen das Rollo unseres Abteils hochschob, war es draußen bereits hell. Die Verspätung betrug inzwischen etwa vier Stunden, und Istanbul konnte nicht mehr weit sein. Kaum 30 Kilometer vor Istanbul wurde dann unsere Diesellok durch eine E-Lok ersetzt, denn schließlich gehört es sich, in der Weltstadt Istanbul "modern" einzufahren. Mit Spannung erwarteten wir den ersten Blick aufs Meer und kurze Zeit später den Blick hinüber auf unser nächstes Ziel Asien. Sehr langsam und mit vielen Stops, denn unsere Verspätung paßte nicht in den dichten Fahrplan der Istanbuler Schnellbahn, kroch unser "Balkan-Expreß" unter dem Palast der osmanischen Sultane, dem Topkapi, hinein in den stilvollen Bahnhof Sirkeci, in dem alle Züge aus Europa ankommen.
Wir quartierten uns im Ipek Palace Hotel - ein sehr empfehlenswertes Mittelklassehotel, nur wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt - ein und begannen mit der touristenüblichen Stadtbesichtigung: der Hauptkirche des byzantinischen Reiches, der Hagia Sofia, des Topkapi Palastes, der blauen Moschee, dem große Bazar...
Über Istanbul wurde schon so viel geschrieben, gesprochen und so viele Filme gedreht, daß es hier überflüssig ist, auf diese faszinierende Stadt nochmals näher einzugehen. Man sollte Istanbul gesehen haben..
Taurus-Expreß
Jeden Donnerstag - im Sommer sogar zwei Mal in der Woche - fährt der legendäre "Taurus Expreß" - ehemals mit den Reisezielen Bagdad und Beirut - von Istanbul nach Gaziantep mit Kurswagen nach Aleppo. Da dieser Zug nur einen Schlafwagen mit lediglich vier Zweibettabteilen, welche die eine Hälfte des Waggons einnehmen - die andere Waggonhälfte ist der Speisewagen -, mitführt, waren wir glücklich bereits zu Hause rechtzeitig unser Zweibettabteil reserviert zu haben. Dies ist bei Schlafwagen in der Türkei immer ratsam, da die Nachfrage offensichtlich das Angebot weit übersteigt. Diese Waggons stehen in Komfort und Sauberkeit in nichts unseren europäischen Schlafwagen nach, und morgens kann man fast im Morgenrock - fast, denn das würde die türkischen Vorstellungen vom würdevollen Auftreten eines Mannes doch sehr stören - zum Frühstück in die Speisewagenhälfte gehen, während der Schlafwagenschaffner das Abteil wieder in "Tagesstellung" verwandelt.
Die Abfahrt des "Taurus Expreß" war im Fahrplan mit 8.25 Uhr angegeben, was uns zu sehr frühem Aufstehen veranlaßte. Am Abfahrtstag liefen wir zu Fuß vom Hotel zur nahen Fährstation, an der mehrmals in der Stunde Schiffe zum asiatischen Istanbuler Bahnhof Hayerpasa hinüberfahren und wo die Fährschiffe vom europäischen Teil Istanbuls kommend unmittelbar an der Bahnhofstreppe anhalten.
Die altehrwürdige Bahnhofshalle von Hayderpasa ist ein würdiger Abfahrtsort. Es gab Zeiten, da zeigten die Zuglaufschilder BEIRUT, BAGDAD und TEHERAN an. Die politische Lage hat all diese "exotischen" Ziele unmöglich gemacht: Aleppo, unser Reiseziel, ist der einzige Auslandsbahnhof, den irgendein Zug der asiatischen Türkei ansteuert.
Die türkischen Züge sind wirklich nicht schnell, aber dafür komfortabel mit viel Platz in den sauberen Schlafwagenabteilen. Die gemächliche Fahrt führt zuerst fast 100 Kilometer am Meer entlang, erst dann geht es hinein ins wilde Anatolien. Unser Zug erklomm atemberaubende Gebirge und zwängte sich durch enge Schluchten. Aus unerfindlichen Gründen hatte der Speisewagen fast nichts zu bieten. Schade, sehr schade, denn ich habe in diesen türkischen Speisewagen schon ganz vorzüglich gegessen. So versorgten wir uns eben an den Unterwegsbahnhöfen an Kiosken und genossen bis zur hereinbrechenden Dunkelheit die abwechslungsreiche Landschaft. Der Schlafwagenschaffner - in Uniform versteht sich - machte abends wunschgemäß unsere Betten, und am nächsten Morgen kündeten Orangen an den Bäumen vom Süden und von der Nähe zum Meer, aber diesmal in Alanya, nur mehr wenige Stunden von der syrischen Grenze entfernt. Hier deckten wir uns am Bahnsteig mit Eßbarem ein, das wir eigentlich im Speisewagen erwartet hatten. Dann fuhren wir ein letztes Mal ins Gebirge, dem vielleicht schönsten Abschnitt der Fahrt. Der "Taurus Expreß" erklomm schwindelerregende Abhänge, ehe er den Abzweigebahnhof nach Syrien erreichte: Fevzipasa.
Dort wurde der Zug geteilt und wir mußten unser schönes Schlafwagenabteil räumen, denn nach Syrien fährt nur ein Waggon 2. und einer 1. Klasse. Bis hierher hatten wir nur einige Minuten Verspätung. Jetzt fing die Bummelei an. Unser Zug hatte hinter den beiden Personenwagen eine schier endlose Schlange von türkischen und syrischen Güterwagen angehängt bekommen. Wir wollten in Fevzipasa Fahrkarten nach Aleppo kaufen, denn in Istanbul war dies unverständlicherweise nicht möglich. Im Bahnhof erklärte man uns, Fahrkarten nach Syrien gäbe es erst in Islahiye, der nächsten Station. Und so war es dann auch. Viel zu verkaufen hatte der Schalterbeamte nicht, denn es wollten nur drei Fahrgäste nach Syrien. Trotzdem standen wir in Islahiye sehr lange herum. Es wurde rangiert, neue Waggons kamen dazu, andere Waggons wurden abgehängt... Es waren nur mehr etwa 20 Kilometer nach Meydan Ekbez, dem syrischen Grenzbahnhof.
Wie die Reise durch Syrien und Jordanien nach Amman verlaufen ist, lesen in unserer nächsten Ausgabe von FAHRGAST.
Mit der Bahn nach Jordanien (2)