Tangentenstau einmal anders
Auch Öffis stauen mit
Der 5. November 1998 war ein schwarzer Tag für die Menschheit. Ein LKW blockierte die Wiener Südost-Tangente. Nicht ein Mega-Stau hat die Stadt Wien lahmgelegt - nein, es war ein Giga-Stau. Millionen Autofahrer waren von der Umwelt abgeschnitten, Hunderttausende kamen zu spät nach Hause, in die Arbeit oder zum Billa, Unmengen von Menschen waren grausam Gefangene in ihren Blechkisten, der Verkehrsfunk forderte die Bevölkerung auf, die Häuser nicht zu verlassen, Hubschrauber meldeten jede Bewegung (sofern vorhanden), und überhaupt war das Menschenrecht der freien Fahrt für freie Autofahrer schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.
So - oder so ähnlich - mag es zumindest manchen vorgekommen sein, als man am "Tag danach" Politiker, Autofahrerclubs und Medien argumentieren hörte: eine B301 muß her, eine 6. Donauquerung, her mit einer neuen Außenring-Autobahn, Nordautobahn, B3 und zusätzlich ein paar neue Spuren, wo Platz ist.
Der Wiener Verkehrs- und Umweltstadtrat - und zufälligerweise auch zeitgleicher ARBÖ-Präsident - Svihalek (SPÖ) wird jetzt höchstpersönlich Druck machen, damit veraltete und zukunftslose Verkehrskonzepte nun endlich umgesetzt werden. Und LKW sollen nach seinem Willen überhaupt am besten ab sofort in der Nacht fahren, damit die Anrainer nicht schlafen können und die ausgeruhten Autos am nächsten Tag genug Platz zum Stauen haben.
Doch was hat das alles mit den Öffis zu tun?
Faßt man einen Stau auf der Südost-Tangente überschlagsmäßig in Zahlen, dann stellt man rasch fest, wie wenig leistungsfähig der Autoverkehr im Vergleich zum öffentlichen Verkehr ist:
Die A23 ist von Kaisermühlen bis nach Inzersdorf, also der Strecke durch Wien, 12 Kilometer lang. Da jede Richtung 3 Fahrspuren hat, beträgt die Länge der Fahrbahn insgesamt 6 mal 12, also 72 km. Geht man davon aus, daß eine Autoschlange mit 10 km/h (= starker Stau) fährt, dann kann man den Platzverbrauch pro Auto mit ca. 10 Metern (5 Meter Autolänge, 5 Meter Sicherheitsabstand) annehmen. Somit passen auf die Südost-Tangente zeitgleich 7200 Autos. Besetzt man diese Autos durchschnittlich mit je 1,2 Personen, dann stauen somit 8.640 Personen die Tangente zu.
Vergleicht man diese Zahlen mit der Anzahl von Fahrgästen in den Öffis, dann kommt man zu folgender Feststellung: in einen Bus bzw. eine Straßenbahn passen - um es einfach rechnen zu können - ca. 100 Personen. Geht man in der Hauptverkehrszeit von einer 80-prozentigen Auslastung aus (mit 40% wird üblicherweise der Tagesdurchschnitt angegeben), dann füllen diese 8.640 Personen genau 108 Busse bzw. Straßenbahnen.
Ich folge daraus, daß 108 Busse und Straßenbahnen (gerade einmal fünf (!) pro Bezirk), die im Autostau stehen, mindestens dieselbe Katastrophe darstellen, wie ein Mega-Stau auf der Tangente. Der einzige Unterschied ist, daß es die verantwortlichen Politiker nicht einmal 5 % soviel kümmert, denn sonst würden diese unisono mit den Medien täglich lautstark nach neuen Busspuren, eigenen Gleiskörpern, und grünen Wellen für Öffis rufen. Sogar das Gegenteil ist der Fall: SP(ARB)Ö-Svihalek hat selber zumindest zwei Busspuren nachhaltig verhindert, nämlich die für den 26A in Donaustadt und die für 5 Buslinien (u.a. 83A und 84A) im Prater.
Michael Dufek