FAHRGAST - Die Zeitung |
Ausgabe 3/99 - Oktober 1999 |
www.fahrgast.at/z99-3-2.htm - Letzte Änderung dieser Seite am 30.12.1999 (ARK) |
Vor zehn JahrenKampf um den 8er!7. Oktober 1989. Am Vormittag wird in Wien im Rahmen eines Volksfestes von Bürgermeister ZiIk und Verkehrsstadtrat Hatzl die Stadtbahnverlängerung von der Gumpendorfer Straße zur Philadelphiabrücke eröffnet. Weil U-Bahn in ist, heißt die Stadtbahn ab jetzt U6. "U-Bahn mit Oberleitung" lautet der neue offiziöse Terminus für "Stadtbahn". 7. Oktober 1989. Gegen 13.30 Uhr fährt der allerletzte Zug der Straßenbahnlinie 8 in die Schleife beim Meidlinger Bahnhof ein. Der Zug ist voll mit Zivilkontrolloren der Verkehrsbetriebe. Man hat sich auf allfällige Protestaktionen der Einstellungsgegner, allen voran FAHRGAST, gefaßt gemacht. Viele Tramwayfans, aber auch etliche verkehrspolitische Aktivisten stürmen den Zug. Immerhin: Auch Verkehrsbetriebe-Direktor DI Grois persönlich ist im Zug. Er scheut nicht den Dialog mit dem "Gegner". Flott geht es nun bei trübem, regnerischem Herbstwetter, welches zur Stimmung paßt, über Meidlinger Hauptstraße, Ullmannstraße und Gürtel zum Liechtenwerder Platz. Dann fährt der Zug zum Betriebsbahnhof Währinger Gürtel, wo einige unverbrüchliche Achter-Kämpfer das Ende hinauszögern wollen, in dem sie sich weigern, auszusteigen. Nach kurzem Wortgeplänkel können sie zum Aufgeben bewegt werden. Gegen 14.30 Uhr zieht der Zug in die Remise ein. Unmittelbar danach werden, um weiteren Aktionen vorzubeugen, die hölzernen Tore geschlossen. Der 8er ist Geschichte. Der 8er - die meistumkämpfte Straßenbahnlinie WiensIn Wien waren früher Einstellungen von Straßenbahnlinien von der Bevölkerung in geradezu fatalistischer Ergebenheit hingenommen, wenn nicht gar, wie beim 13er, als Fortschritt gefeiert worden. Erst bei der Linie 360 im Jahre 1967 hatte sich erstmals Widerstand geregt. Ganz anders beim Achter: Jahrzehntelang war er parallel zur Stadtbahn verkehrt und dabei, was die Auslastung anbelangt, bis zuletzt in Vergleich mit anderen Linien im guten Mittelfeld gelegen. Doch schon in den Siebzigern wurde die geplante Einstellung ruchbar, als die Stadtbahnstation Thaliastraße und der Ausgang Urban-Loritz-Platz der Haltestelle Burggasse errichtet wurden. Dies waren die einzigen wichtigen Knotenpunkte, welche von der Stadtbahn vorher nicht bedient worden waren. Als nun 1983 der erste Spatenstich für die "U6" getan wurde, war den Planungen zufolge der 8er, wenn auch mit aufschiebender Wirkung, bereits zum Tod verurteilt. Der Widerstand begann sich zu formieren. Schon in den ersten Zeitungsausgaben nach der Gründung, vier Jahre vor dem Tag X, bezog FAHRGAST vehement Stellung gegen die geplante Linieneinstellung. Als Begründung führten wir folgende Argumente an: Die Stadtbahn soll ein Schnellverkehrsmittel sein und nicht durch zu viele Haltestellen entschleunigt werden. Haltestellen an den wichtigen Knotenpunkten reichen aus. Die Straßenbahn soll dagegen vor allem den Kurzstreckenfahrgästen dienen und günstige Umsteigewege zu allen, auch den schwächeren, Radiallinien, wie etwa der Linie 44, gewährleisten. Die gute Auslastung des Achters bestätigte den Bedarf. Doch als sich um 1987/88 verstärkter Widerstand zeigte, waren die Rathausgewaltigen, allen voran Stadtrat Hatzl, um kein Argument für die 8er-Einstellung verlegen. Aus zuerst kolportierten 60 Mio. Schilling jährlicher 8er-Betriebskosten wurden plötzlich 100 Mio.; von Personalmangel bis Wagenmangel wurde alles als Begründung strapaziert. Die wahren Gründe, nämlich der damals immer noch beabsichtigte Ausbau des Gürtels zur Autorennbahn sowie das Dogma, daß U-Bahn und Straßenbahn nun einmal nicht parallel verkehren dürfen (und damit basta), wurden geflissentlich verschwiegen. Widerstand von allen SeitenDoch FAHRGAST kämpfte nicht allein. Zunächst leisteten uns die Grünen Schützenhilfe. Hier hatten wir volle Unterstützung aller Bezirksorganisationen und der Landesorganisation. Es folgten der rührige ÖVP-Landtagsabgeordnete Franz Karl, später auch einige ÖVP-Bezirksorganisationen. Doch auch bei der SPÖ regte sich in einigen Gürtelbezirken, vor allem Währing, Opposition gegen die Rathausgenossen. Die FPÖ hielt sich bedeckt. Gemeinsam mit anderen Bürgerinitiativen, vor allem der BI Hetzendorf unter dem kämpferischen Lehrer Franz Schodl, gelang es FAHRGAST, 70.000 Unterschriften für eine Volksbefragung zum Achter und anderen Themen zu sammeln, wobei schon 56.000 ausgereicht hätten. Diese Menge an Unterschriften sowie die ziemlich 8er-freundliche Presse machten der Rathaus-SPÖ schwer zu schaffen. In seiner Bedrängnis sparte Vizebürgermeister Mayr in einer zum Bersten vollen Bürgerversammlung nicht mit verbalen Entgleisungen wie: "Wenn ich mir diese haßerfüllten Gesichter anschaue, fühle ich mich an das Jahr 1934 erinnert" und ähnlichem. Stadtrat Hatzl mußte sich dagegen bei SPÖ-internen Veranstaltungen vor allem in Währing von den eigenen Genossen den Kopf waschen lassen. Fairer Bürgermeister ZilkBürgermeister Zilk war im Gegensatz zu so manchen anderen ausgesprochen fair. Am 16. Oktober 1989 wurden drei FAHRGAST-Vetreter, darunter auch FG-Vorsitzender Harald Kuchwalek und der Autor dieses Artikels als junger Student zu einer Unterredung mit Zilk, Hatzl und dem vor der Pensionierung stehenden technischen Verkehrsbetriebe-Direktor Sailler ins Rathaus geladen. Ziel dieser Aktion sollte es wohl sein, uns zum Aufgeben zu bewegen. Als der Bürgermeister jedoch von der Zahl der bereits gesammelten Unterschriften erfuhr, besann er sich eines besseren und erteilte die Weisung, die Strecke der Linie 8 bis zur Volksbefragung vorerst nicht abzutragen. Von 22. Bis 24. Februar 1990 fand dann "unsere" Volksbefragung statt. Allnächtlich hatten FAHRGAST-Aktivisten in den Wochen zuvor Plakate geklebt, um die Bevölkerung zur Teilnahme zu motivieren. Politische TrittbrettfahrerDoch plötzlich traten wenig erfreuliche Dinge ein: Während FAHRGAST und die anderen Bürgerinitiativen die gesamte Knochenarbeit, wie unermüdliches Sammeln von Unterschriften unter Opferung tausender Freizeitstunden geleistet hatten, machten sich nun politische Trittbrettfahrer bemerkbar, denen der Achter vorher herzlich wurscht gewesen war und die nur die Möglichkeit zur Eigenwerbung nützten. So plakatierte der glücklose lnterims-ÖVP-Obmann Wolfgang Petrik auf Dreiecksständern "Wir Wiener holen uns unseren Achter zurück!"; die FPÖ erwähnte den Achter nicht einmal, sondern verwendete einfach die Vor"wahl"zeit für Plakate wie etwa "Freiheitliche Politik statt sozialistischer Willkür" (oder so ähnlich). Gegner von Petrik überklebten die Plakate mit "Wir Wiener holen uns unseren Busek zurück!". Das Ergebnis der Volksbefragung hatte eine gute und eine schlechte Seite: Eine satte Mehrheit von 94% (!) der Teilnehmer sprach sich für unser Ziel, nämlich die Änderung der Stadtverfassung im Sinne der Durchführung stadtteilweiser Volksbefragungen zu den einzelnen Themen (allen voran Linie 8), aus. Leider beteiligten sich nur 6% der Wahlberechtigten an der Befragung, wobei die Trittbrettfahrer ihren Beitrag dazu geleistet haben dürften. Das endgültige AusNachdem die niedrige Beteiligung an der Volksbefragung bekannt geworden war, konnten die Rathausbosse aufatmen. Der Gegner war doch nicht so stark wie befürchtet. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Mitte Juli 1990 die Oberleitung demontiert und Mitte August die ersten Gleise herausgerissen wurden. Immerhin wurde dem Feind noch durch eine Sitzblockade von etwa 30 Getreuen (darunter der Autor, aber auch die aufstrebende Grünpolitikerin Madeleine Petrovic) an der Kreuzung Sechshauser Gürtel / Ullmannstraße getrotzt, welche jedoch alsbald von der Alarmabteilung WEGA der Wiener Polizei von der Fahrbahn getragen wurden. Die Räumung erfolgte friedlich, es kam zu keinerlei Übergriffen. Die ebenfalls schon historische AZ widmete uns, dank Sommerloch, einen großen Bildbericht. Das alles konnte indessen den Achter nicht wieder zurückbringen. Folgen und PerspektivenHeute erinnern nur noch ein paar Gleisreste und Oberleitungshalterungen an den Achter; die politischen Folgen waren jedoch nachhaltig. Sicher hat die sture Haltung von Hatzl & Co. wenn auch in nicht quantifizierbarer Weise zur gigantischen Schlappe der SPÖ bei der Gemeinderatswahl im November 1991 und zum Aufstieg der Grünen beigetragen. Für FAHRGAST als überparteiliche Organisation sollten derartige parteipolitische Überlegungen indessen keine wesentliche Rolle spielen. Für uns gilt, daß wir im Kampf um den Achter wohl unseren höchsten Bekanntheitsgrad erreicht haben und uns auch bei unseren (sachlichen, nicht politischen) Gegnern den Ruf als ernstzunehmende Gesprächspartner erworben haben. Ein Großteil unserer Mitglieder konnte in der Achter-Zeit angeworben werden. Im Dezember 1990 veranstaltete FAHRGAST gemeinsam mit internationalen Waggonbaufirmen ein technisches Symposium zum Thema "Niederflurwagen", welches wegweisend für die Entwicklung der neuen Stadtbahnwagen und des ULF war. Das Symposium erfolgte unter großem Interesse jener Politiker und Beamten, welchen wir noch wenige Monate zuvor als Gegner gegenübergestanden waren. In weiterer Folge erwarb FAHRGAST seinen Sitz in der Planungs- "Ohrwaschel"-kommission, welchen wir noch heute inne haben. Auch das Dogma von der Nichtparallelführung von U-Bahn und Straßenbahn wurde aufgeweicht: An wichtigen Straßenbahnstrecken wurde U-Bahnbedingt nur noch die innere Mariahilfer Straße aufgelassen; indessen fahren auf der Floridsdorfer Brücke trotz U6-Parallelführung immerhin noch zwei Tramwaylinien. Wäre der 8er nicht gewesen, so wäre seit der U3-Verlängerung nach Ottakring auch der 10er schon historisch; auch der innere Ast der Linie 49 wäre vermutlich dahin gegangen. Der Kampf um die Linie 8 war somit zwar verloren, jedoch nicht vergebens. Die geplanten U-Bahn-Verlängerungen lassen allerdings wieder einen schlimmen Tramway-Kahlschlag befürchten. Hier ist äußerste Wachsamkeit geboten. Mögen wir daher aus den Erfahrungen im Kampf um den Achter lernen und uns weiterhin kraftvoll für die Erhaltung und den Ausbau eines zukunftsweisenden, leistungsfähigen und fahrgastgerechten Wiener Straßenbahnnetzes ins Zeug legen! Georg Kupf siehe auch: Das Straßenbahnjournal (Bericht) Vor vierzig JahrenEinstellung der Linie L11. Oktober 1959. Die Wiener Fahrgäste erfahren aus entlang der Haltestellen am Ring und in der Mariahilfer Straße befestigten Informationstafeln, daß die Straßenbahnlinie L (Rudolfsheim - Rotundenbrücke), ab 12. Oktober "vorübergehend" eingestellt wird. An diesem Tag beginnt der Bau der Babenbergerpassage, damit die den Ring überquerenden Fußgänger nicht mehr die Autofahrer behindern können. Aus einem "vorübergehend" wurde ein immer; "L" steht nur noch für Fahrschule. Das war der Auftakt zur Einstellung fast aller nach dem zweiten Weltkrieg noch verbliebenen Durchmesserlinien. 1960 folgten die Linien C (Hernals - Kaisermühlen) und F (Kreuzgasse - St. Marx); Grund: Bau der Schottentorpassage ("Jonasreindl"). 1980 mußten wegen Umbaus der Tunnelstrecke zur U2 die Linien E2, G2 und H2 daran glauben, später folgten noch die Linien A, AK, B, BK und T; der J-Wagen wurde halbiert. Heute ist der D-Wagen die letzte echte Durchmesserlinie. FAHRGAST fordert seit jeher die Einrichtung neuer Durchmesser, da lange Linien, z.B 71/J stets weniger Umsteigen und daher kürzere Gesamtreisezeit bedeuten. Das Gegenargument der Störungsanfälligkeit gilt zu Zeiten eines rechnergesteuerten Betriebsleitsystems mit Störungsmanagement nicht mehr. Georg Kupf siehe auch: FAHRGAST 3/98 - Ringelspiel am Ring |
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